Montag, 29. Juli 2024

Foto

Ich lernte rm 1980 kennen – in einer Galerie in Göttingen. Er war einer von den neuen Studentinnen und Studenten, die ihr erstes Semester nach dem Sommer in Göttingen begannen. Ich glaube, dass er dort Germanistik studierte, was ihn aber nicht wirklich interessierte. Später studierte er „Visuelle Kommunikation“ an der Kunsthochschule in Kassel. Er machte sofort Eindruck auf mich. Sein Blick war intensiv, fokussiert ohne zu vereinnahmen. Ich glaube, dass er einige seiner Gedichte dort an Ort und Stelle rezitierte. Sie waren ungewöhnlich, modern, konkret und die Rezitation eine eigene Performance. Sein Hauptinteresse war aber die Fotografie. Einige Wochen später fotografierte er einige Freunde und Freundinnen in einem Landhaus, ein gestelltes Bacchanal. rm war die einzige Person, die nicht nackt war, hatte aber genauso viel Spaß wie wir. Der Künstler Marc Trapphagen war auch dabei. Marc war Anfang der 1980er Jahre ein kommerziell erfolgreicher Maler in der Universitätsstadt. Mit der akademischen Welt hatte er aber auch nichts zu tun. Sein Markenzeichen war es, seine Werke nicht zu signieren. 1987 besuchte er mich in Berlin, dann verschwand er aus meinem Leben und anscheinend aus der Welt. Niemand weiß, wo er geblieben ist. Anfragen an seine ehemalige Galerie blieben unbeantwortet. Gestorben scheint er nicht zu sein. Er hat vielleicht einfach nur die Identität gewechselt.


Auf der Rückseite dieses Fotos schreibt rm als Postkarte an mich: „Ich meine, wenn wir schon eine gemeinsame Performance machen wollen, dann müssen wir sie auch gemeinsam ausarbeiten, und zwar nicht brieflich, denn beim Schreiben werden Vorstellungen zu Motivationen karikiert und Intentionen zu einem pragmatischem Kalkül.“ (Göttingen, 25/5/82)



rm, Bacchanal 1980

I met rm in 1980 - in a gallery in Göttingen. He was one of the new students starting their first semester in Göttingen after the summer. I think he was studying German language and literature there, but he wasn't really interested in it. He later studied “Visual Communication” at the Kunsthochschule in Kassel. He made an immediate impression on me. His gaze was intense, focused without being overpowering. I think he recited some of his poems there on the spot. They were unusual, modern, concrete and the recitation was a performance in itself. But his main interest was photography. A few weeks later, he photographed some friends and girlfriends in a country house, a posed bacchanal. rm was the only person who wasn't naked, but he had just as much fun as we did. The artist Marc Trapphagen was also there. Marc was a commercially successful painter in the university town in the early 1980s. But he had nothing to do with the academic world either. His trademark was not to sign his works. In 1987 he visited me in Berlin, then he disappeared from my life and apparently from the world. No one knows where he has gone. Inquiries to his former gallery have gone unanswered. He doesn't seem to have died. Perhaps he simply changed his identity.


On the back of this photo, rm writes to me as a postcard: “I mean, if we want to do a joint performance, then we have to work it out together, and not in writing, because in writing, ideas are caricatured into motivations and intentions into a pragmatic calculation.” (Göttingen, 25/5/82)

Samstag, 20. Juli 2024

Aktentasche

Unter den Dingen, die mir rm hinterlassen hat, gehören eine elektrische Kaffeemühle und eine schwarze Aktentasche von Karl Lagerfeld. Die Aktentasche ist schwer, fühlt sich aber an wie weiches Gummi, obwohl sie aus Leder ist. Auf der Internetseite des Marke findet man diese Tasche nicht mehr sondern nur noch der Zeit angepasste Umhängetaschen mit großen Aufdrucken. Dieser hier ist diskret mit eine Blindprägung des Namens, die eher an den Beginn des 20. Jahrhunderts erinnert oder an das Ende des 19. Jahrhunderts. Männer mit Melonen und in schwarzen Anzügen, wie sie Margritte gemalt hat, könnten diese Aktentaschen getragen haben. Eine Paraphrase zu Oscar Wilde fällt mir ein: „Sie (die Aktentasche) ist so altmodisch, dass sie schon wieder hypermodern ist“. rm hat sie irgendwo in Berlin-Mitte gefunden und sie wieder in Schuss gebracht. Die guten, zeitlosen Dinge braucht man nicht unbedingt zu kaufen. Sie lassen sich finden. 



Among the things rm left me are an electric coffee grinder and a black briefcase by Karl Lagerfeld. The briefcase is heavy, but feels like soft rubber, even though it is made of leather. You won't find this bag on the brand's website any more, only shoulder bags with large prints in keeping with the times. This one is discreet with a blind embossing of the name, which is more reminiscent of the beginning of the 20th century or the end of the 19th century. Men with bowler hats and in black suits, as drawn by Margritte, could have carried these briefcases. A paraphrase of Oscar Wilde comes to mind: “It (the briefcase) is so old-fashioned that it is hypermodern again”. rm found it somewhere in Berlin-Mitte and restored it to its former glory. You don't necessarily have to buy the good, timeless things. They can be found. 



Zettel

 so

und

so

bleiben

sie 

erstmal

eine Weile

stehen

und

bitte

nicht

bewegen

Dankeschön für Ihr

Verständnis

11-3-80, 2:01


Archiv Monika Moeller


so

and

like this

remain

they 

for a while

a while

stand

and

please

not

move

Thank you for your

understanding

11-3-80, 2:01

Montag, 15. Juli 2024

Verträumt

Verträumt

ist meine Welt

Menschen

rennen auf mich zu

und ich 

an ihnen vorbei

sie auch


rm, 1978 (Archiv: Monika Moeller)

Dreamy

is my world

People

run towards me

and I 

past them

them too


Freitag, 12. Juli 2024

Rauch

Wenn man 50 Jahre lang täglich etwa 10 Zigaretten raucht, dann ergibt das eine Summe von 182.500 Zigaretten. Bei einer normalen Zigarettenlänge von ca. 6 cm sind das also 1.095.000 cm oder auch 10.950 Meter. Das ist ungefähr das Maß, das r.m. und ich jeweils in diesem Leben geraucht haben: 10,95 km. Er hat mit dem Rauchen aufgehört, ich nicht. 

Mit dem Rauchen nach Langzeitrauchen aufzuhören, hielten wir für gefährlich. Besser ist es, den Zigarettenkonsum zu drosseln. Wahrscheinlich ist das medizinischer Unsinn oder magisches Denken. Vielleicht auch ein Alibi für die persönliche Suchterkrankung. Und dennoch gibt es nicht wenige Bekannte, die einige Jahre später an Lungenkrebs gestorben sind nachdem sie mit dem Rauchen aufgehört hatten. 


Die Statistik lügt nicht, aber man lebt und stirbt persönlch und nicht statistisch - je nachdem was für ein Schweinezeug von Chromosomen (schon wieder ein Beckett-Zitat) man geerbt hat. 


„Plattenepithelkarzinome entstehen in den Plattenepithelzellen, d.h. in den flachen Zellen, die das Innere der Atemwege in der Lunge auskleiden. Sie sind häufig mit dem Rauchen assoziiert und treten meist im mittleren Teil der Lunge, in der Nähe eines Hauptluftwegs (Hauptbronchus), auf.“


Und dennoch: „Laut Chirurg gehöre ich wohl zum glücklichen Drittel (von Patienten mit ähnlicher Symptomlage) bei denen eine Heilung möglich scheint und angestrebt ist.“ (E-Mail vom 3. Januar 2024).




If you smoke about 10 cigarettes a day for 50 years, that's a total of 182,500 cigarettes. With a normal cigarette length of approx. 6 cm, that's 1,095,000 cm or 10,950 meters. That is roughly the distance that r.m. and I have each smoked in this life: 10.95 km. He quit smoking, I didn't. 


We thought it was dangerous to stop smoking after long-term smoking. It's better to cut down on cigarette consumption. This is probably medical nonsense or magical thinking. Perhaps also an alibi for personal addiction. And yet there are quite a few acquaintances who died of lung cancer a few years later after quitting smoking. 


The statistics don't lie, but you live and die personally and not statistically - depending on what kind of pig of chromosomes (another Beckett quote) you have inherited. 


"Squamous cell carcinomas develop in the squamous cells, i.e. the flat cells that line the inside of the airways in the lungs. They are often associated with smoking and usually occur in the middle part of the lung, near a main airway (main bronchus)."


And yet: "According to the surgeon, I am probably one of the lucky third (of patients with similar symptoms) for whom a cure seems possible and is being sought." (e-mail dated January 3, 2024).

Donnerstag, 11. Juli 2024

Schatten

Ich habe es nicht gern, wenn die Schatten lichter werden, das ist ein verdächtiges Zeichen .

Samuel Beckett, Molloy



Reinhard Moeller: iPhone-Foto-Fundstück, 2021


I don't like it when the shadows get lighter, that's a suspicious sign.

Samuel Beckett, Molloy

Mittwoch, 10. Juli 2024

Hand

Es passiert immer während der Feiertage: Unfälle im Haushalt. Eine Flasche beim Fallen umstossen und sich tiefe Schnitte in die Hand zufügen. Die Charité und Notfallversorgung ist nur zehn Minuten entfernt. 

Lieber Hartmut,

Nimm Dich in Acht, ich bin vielleicht ein gefährdeter Gefährder!

Das braucht wohl eine kleine Erläuterung:

Meine Interimshausärztin habe ich nach einem No-Voodoo Präparat zur Narbenbekämpfung gefragt.
Sie empfahl mir ein Produkt von Wala. 

Ich habe bei DuckDuckGo nachgesehen, heraus kam so was ähnliches wie Weleda ...
Meine Apothekerin konnte das Produkt auch empfehlen, also habe ich es gekauft (trotz anthroposophischen Globuli als Inhaltsstoffe!).

Bin ich nun gefährdet ein esoterischer Steiner-Jünger zu werden? 

Aber ich esse ja auch Sarah Wiener-Brot und es schmeckt mir gegebenenfalls gut. 
Das Brot wurde angeblich nach Demeter-Regeln gemacht.

Sie haben ja bei vielem Recht, aber Globuli?

Reinhard

22. Januar 2023, 16:39 Uhr

It always happens during the holidays: household accidents. Knocking over a bottle when it falls and making deep cuts in your hand. Charité and emergency care are only ten minutes away. 

Dear Hartmut,

Watch out, I might be a dangerous person!

That probably needs a little explanation:

I asked my interim GP for a no-voodoo preparation to combat scars.

She recommended a product from Wala. 

I looked it up on DuckDuckGo and came up with something similar to Weleda ...

My pharmacist was also able to recommend the product, so I bought it (despite the anthroposophical globules as ingredients!).

Am I now at risk of becoming an esoteric Steiner disciple? 

But I also eat Sarah Wiener bread and it tastes good to me. 

The bread was supposedly made according to Demeter rules.

You are right about many things, but globules?

Reinhard

Dienstag, 9. Juli 2024

Hardware

rm´s erster Computer war ein Atari (wahrscheinlich Atari 400/800 oder 2600/5200) mit einer Musikschnittstelle. Danach folgte ein Macintosh Performa, ein Powermac G4 Quicksilver. Hier eine Liste seiner mobilen Rechner: PowerBook, Mac Book Pro, Mac Book Air in diversen Konfigurationen mit Motorola-, Intel- und Apple-Silicon-Prozessoren. Größe zwischen 13 und 17 Zoll. Zu dem Zeitpunkt seiner Wohnungsauflösung: etwa drei Geräte funktionsfähig, drei oder vier können noch repariert werden. iPod und iPad hat er nie besessen. Sein iPhone 4 benutzte er bis 2021 oder 2022 bis es von einem iPhone 13 Plus abgelöst wurde. Das iPhone 4 war das perfekte Gerät für ihn. Er liebte das Design des G4-Cube, der im Jahre 2000 vorgestellt wurde und 7000 Dollar kosten sollte. Der CD/DVD-Schlitz befand sich auf der oberen Würfeloberfläche und erinnerte an einen Toaster. 


Mein erster Computer nach all den mechanischen Schreibmaschinen war sein Atari mit einem grauen Röhrenmonitor und einen Nadeldrucker. Das muss 1988 gewesen sein. Hier entwarf ich erste Editionen wie „GHOSTS OF COMPUTERGAMES“ für Bob Cobbings „writer´s forum“. Die Publikationsliste von Ilse und Pierre Garnier druckte ich auf dem grauen Lochpapier des Nadeldruckers aus. Sie umfasste etwa zwanzig Seiten, die ich der eigentlichen Edition „Fibel – eine Elegie“ beilegte. 1996 oder 1997 blieb der Röhrenmonitor dunkel und ich warf die Tastatur weg. Ich wusste damals nicht, dass der Rechner beim Atari in der Tastatur steckte und nur der Monitor defekt war. 



r.m., Porträt von Monika Moeller, ca. 1988

rm's first computer was an Atari (probably Atari 400/800 or 2600/5200) with a music interface. This was followed by a Macintosh Performa, a Powermac G4 Quicksilver. Here is a list of his mobile computers: PowerBook, Mac Book Pro, Mac Book Air in various configurations with Motorola, Intel and Apple Silicon processors. Sizes between 13 and 17 inches. At the time of his house clearance: about three devices in working order, three or four can still be repaired. He never owned an iPod or iPad. He used his iPhone 4 until 2021 or 2022, when it was replaced by an iPhone 13 Plus. The iPhone 4 was the perfect device for him. He loved the design of the G4 Cube, which was introduced in 2000 and cost 7000 dollars. The CD/DVD slot was on the top surface of the cube and reminded him of a toaster. 


My first computer after all the mechanical typewriters was his Atari with a gray tube monitor and a dot matrix printer. That must have been in 1988. Here I designed the first editions such as "GHOSTS OF COMPUTERGAMES" for Bob Cobbing's "writer's forum". I printed Ilse and Pierre Garnier's list of publications on the gray perforated paper of the dot matrix printer. It comprised about twenty pages, which I enclosed with the actual edition "Fibel - eine Elegie". In 1996 or 1997, the CRT monitor went dark and I threw away the keyboard. I didn't know at the time that the Atari computer was in the keyboard and only the monitor was defective. 

Raleigh

rm fand ein altes Fahrrad – ohne Mantel, Ketten und Sattel. In aufwändiger Bastelarbeit erneuerte er beinahe das ganze Fahrrad aus seinem al...